
In einer Vorstadtsiedlung, die auf den ersten Blick harmlos und gewöhnlich erscheint, brodelt unter der Oberfläche ein Leben voller Gewalt, Erstarrung und unausgefüllter Wünsche. Die namenlose Protagonistin wird von ihrem gewalttätigen Vater und der emotional abwesenden Mutter in einer Welt der Missachtung und des Schweigens gefangen gehalten.
Einzig das Lachen des kleinen Bruders Gilles erhellt den Alltag. Mutig und voller Liebe versucht die junge Frau, Gilles vor der väterlichen Gefühlskälte und der Gewalt zu schützen. Bis sich eines Tages eine Tragödie direkt vor ihrer beider Augen abspielt, die das Lachen des kleinen Bruders verstummen lässt. Und während ihre Mutter in dieser erdrückenden Atmosphäre verharrt, wächst die Tochter, im Versuch ihren Bruder zu retten über sich hinaus und spürt, dass sie selbst die Zukunft in sich trägt.
»Das wirkliche Leben« ist mehr als nur ein Coming-of-Age-Roman – ein modernes Märchen über Emanzipation und Gewalt in all ihren Formen, das starke Bilder hinterlässt.
Die Frage, die der Roman aufwirft, ist universell: Wie weit muss man gehen, um Freiheit zu erlangen?
StZ: »»(…) Der Abend, den Yassin Trabelsi ideenreich und auch amüsant inszeniert hat, bietet auf einer kleinen Bühne Theater, wie es sein sollte: Szenen, die zu denken geben, und ein sinnliches Erlebnis. Corentin Muller hat aus schlichter Pappe einen einleuchtenden Bühnenraum gebaut. Auf ihm entfalten sich atmosphärisch dichte Szenen mit einer sorgfältigen Lichtregie und aufregender Musik (Sven Daniel Bühler), die das Geschehen raffiniert unterfüttert. Bisweilen ist es vollständig dunkel, und man sitzt als Zuschauer ziemlich irritiert in seinem Stuhl. Gut so.
Überhaupt ist diese Inszenierung spannend, sie nimmt den Zuschauer mit, konfrontiert ihn ständig mit Unvorhersehbarem. Sabine Christiane Dotzer verkörpert die versteinerte Mutter glaubhaft und ist amüsant als russisch akzentuierende Gattin des „Champions“. Sebastian Schäfer gibt ihn witzig als angejahrten Eigenheimsiedlungs-Kavalier, den die jugendliche Adeline erstaunlicherweise supersexy findet. Leonore Magdalena Lang trägt das Stück als erzählende Adeline zwei Stunden lang mit großer Bühnenpräsenz. Souverän stößt sie direkte, erbarmungslose Sätze aus, die erschrecken und berühren.« Cord Beintmann
Sabine Christiane Dotzer
Robin Kümmel
Leonore Magdalena Lang
Sebastian Schäfer

(von Cord Beintmann)
Das Drama „Das wirkliche Leben“ nimmt die Zuschauer im Studio Theater mit in eine düstere Welt, aus der die Tochter Adeline unbedingt ausbrechen will.

Die Familie sitzt im „Raum der Kadaver“, wie ihn die Tochter nennt, denn die Wände sind mit Tiertrophäen bestückt. Der Vater liebt die Jagd, Fernsehen und Whisky, und am Esstisch schlägt der eisige Familientyrann die Mutter, weil ihm das Essen nicht schmeckt.
In dieser Szene ballt sich die unheilvolle Struktur einer von einem patriarchalischen Autokraten beherrschten Kleinfamilie zusammen, in der die Mutter alle Schrecken stumm erduldet. Adeline, am Tisch noch ein Kind, erzählt davon wie eine Erwachsene aus der Rückschau, in einer kühlen, sarkastischen Sprache von erschreckender Unverblümtheit. Für ihre Mutter empfinde sie nur Mitleid, ja sogar Verachtung. „Das wirkliche Leben“ heißt das Stück nach dem gleichnamigen preisgekrönten Roman der Belgierin Adeline Dieudonné aus dem Jahre 2018.
Für das Studio Theater haben Yassin Trabelsi und Daniela Urban eine überzeugende Bühnenfassung erarbeitet.
Hilft nur eine Zeitmaschine?
Zu erleben ist ein Coming-of-Age-Stück der knochentrockenen und gruseligen Art. Adeline möchte ihren kleinen Bruder (Robin Kümmel) schützen und glaubt, eine Zeitmaschine könne die beiden in ein Leben fern von den gruseligen Eltern katapultieren. Das kann nicht klappen, und Adeline muss zuschauen, wie ihr Bruder später zu einem abstoßenden Tiertöter wird. Sie selbst aber durchschaut erstaunlich klar ihre Situation und erkennt, dass sie sich aus dieser Familie herauskämpfen muss. Sie schafft es, dem Vater die Erlaubnis abzuringen, dass ihr ein Professor privat Physikunterricht gibt. „In mir wächst etwas Mächtiges heran“, erklärt Adeline gegen Ende des Stücks.
Insgesamt kommt ihr Aufbruch in ein selbstbestimmtes Leben im Stück etwas zu kurz. Doch der Abend, den Yassin Trabelsi ideenreich und auch amüsant inszeniert hat, bietet auf einer kleinen Bühne Theater, wie es sein sollte: Szenen, die zu denken geben, und ein sinnliches Erlebnis. Corentin Muller hat aus schlichter Pappe einen einleuchtenden Bühnenraum gebaut. Auf ihm entfalten sich atmosphärisch dichte Szenen mit einer sorgfältigen Lichtregie und aufregender Musik (Sven Daniel Bühler), die das Geschehen raffiniert unterfüttert. Bisweilen ist es vollständig dunkel, und man sitzt als Zuschauer ziemlich irritiert in seinem Stuhl. Gut so.
Die versteinerte Mutter
Überhaupt ist diese Inszenierung spannend, sie nimmt den Zuschauer mit, konfrontiert ihn ständig mit Unvorhersehbarem. Sabine Christiane Dotzer verkörpert die versteinerte Mutter glaubhaft und ist amüsant als russisch akzentuierende Gattin des „Champions“. Sebastian Schäfer gibt ihn witzig als angejahrten Eigenheimsiedlungs-Kavalier, den die jugendliche Adeline erstaunlicherweise supersexy findet. Leonore Magdalena Lang trägt das Stück als erzählende Adeline zwei Stunden lang mit großer Bühnenpräsenz. Souverän stößt sie direkte, erbarmungslose Sätze aus, die erschrecken und berühren.
Termine „Das wirkliche Leben“ im Studio Theater, am 22. sowie vom 26. bis 28. Februar & März 2025