Thomas Manns Novelle geht auf einen Sommerurlaub ins faschistische Italien der 20er Jahre zurück, der alles andere als eine Erholung war.
Denn das sonst so gastfreundliche Italien hat sich verändert. Nationalismus und Diskriminierung begegnen der Familie auf Schritt und Tritt. Im Hotel, im Speisesaal und sogar am Strand werden sie wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Den Kindern zuliebe arrangiert man sich und bleibt. Der Besuch einer Zaubervorstellung soll für Ablenkung sorgen. Doch Zauberkünstler Cipolla entpuppt sich als gewiefter Hypnotiseur, der sein ebenso fasziniertes wie willenloses Publikum zu allerlei fragwürdigen Handlungen verführt. Und so wird man Zeuge, wie Cipolla die Grenzen des Zumutbaren überreizt und sich die aufgeheizte Atmosphäre in einem Ende mit Schrecken entlädt. Einem höchst fatalen Ende.
Manns Novelle ist das feinsinnige Psychogramm einer Gesellschaft, die der Verführung des Totalitarismus erliegt und in der Aufgabe ihres eigenen Willens fast eine Art Befreiung erlebt – die Befreiung von persönlicher Verantwortung, Vernunft und Moral. Kaum hundert Jahre später stellt sich wieder die brennende Frage: Was ist uns unsere Freiheit wert? Wie widerstandsfähig sind wir als Gesellschaft? Und wie lange schauen wir zu, bis wir schließlich handeln?
Kulturreport: »Schon bevor Sebastian Schäfer in der Rolle als Familienvater Thomas Mann auf die Bühne kommt, spürt man, dass Unheil in der Luft liegt. Dabei sehen die nach hinten gestaffelten, naturfarbenen Vorhänge eigentlich ganz behaglich aus. (…) Aber schon die ersten Sätze ziehen einen mitten hinein ins Geschehen: ins italienische Küstenstädtchen Torre de Venere, wo Thomas Mann mit Frau Katia und den Kindern den Sommerurlaub verbringt. Der Traum von „Bella Italia“ gerät jedoch nach und nach zum Alptraum.« Gabriele Metzker
Stuttgarter Zeitung: »Achim Hall hat als Cipolla einen starken Auftritt, kommt er doch im Gegensatz zu den hellen Tönen der sonstigen Kostüme und des Bühnenbilds (Leah Lichtwitz) ganz im italienischen Faschisten-Schwarz. Großartig gespielt ist die zentrale Szene der Hypnose, in der er Mario dazu bringt, in ihm, dem Verführer, die lang ersehnte Freundin zu sehen.« Tim Schleider
Die vom Kulturamt Stuttgart geförderte Veranstaltungsreihe „Kultur am Nachmittag“ bietet Kulturinteressierten aller Altersgruppen die Möglichkeit, Theater und Konzerte nachmittags zu besuchen.
Achim Hall
Galina Freund
Felix Jeiter
Sebastian Schäfer
(von Tim Schleider)
Das Stuttgarter Studio Theater bringt Thomas Manns Erzählung „Mario und der Zauberer“ auf die Bühne – es ist ja leider so aktuell wie lang nicht mehr.
Foto: Stephan Haase
Vor 150 Jahren wurde Thomas Mann geboren: Es ist bemerkenswert, vor allem aber bezeichnend für unsere aktuelle Lage, wie stark sich das Interesse im Jubiläumsjahr gerade auf die politische Haltung und Botschaft des Dichters konzentriert – auf den Verteidiger der Weimarer Republik in den 1920er-Jahren, auf den Exilanten in der Nazi-Zeit, der versucht, vom Ausland aus den Deutschen ins Gewissen zu reden. Jahrzehntelang galt Thomas Mann im Kontrast zu seinem Bruder Heinrich noch als der schöngeistige, verwagnerte Ästhet, der Homo Unpoliticus, der eher zufällig im Ausland landete. Diese Deutung war schon immer Unsinn; inzwischen liest man seine Romane, Briefe, seine Essays und Reden aus den 20er- und 30er-Jahren zum Glück genauer und weniger politisch voreingenommen.
Staunen kann man zum Beispiel immer nur aufs Neue über die Klarheit der Analyse, die Qualität der künstlerischen Verdichtung und die Bestimmtheit der politischen Aussage in seiner Novelle „Mario und der Zauberer“, 1930 veröffentlicht im Rückblick auf einen Sommerurlaub 1926 im damals ja bereits faschistisch regierten Italien. Es passt perfekt zur engagierten Haltung des Stuttgarter Studio Theaters, diese Geschichte auf ihre kleine, feine Bühne zu bringen – in einer natürlich eingedampften Textfassung der Ko-Intendantin Daniele Urban, die auch die Regie übernommen hat.
Sebastian Schäfer und Galina Freund als Thomas und Katia Mann berichten also von ihren beunruhigenden Erlebnissen im Hotel und am Strand, wo sie sich im Kleinen des Ferienalltags plötzlich den Auswirkungen nationalistischer Xenophobie im Großen der Politik ausgesetzt sehen. Und sie besuchen gemeinsam mit Felix Jeiter als Kellner Mario die Spätvorstellung des Zauberers Cipolla, dessen magische Qualitäten vor allem in perfider Suggestion bestehen: Was, so seine zentrale Frage, sei denn schon das kleine armselige persönliche Wollen angesichts der Kraft und Macht des Befehls?
Achim Hall hat als Cipolla einen starken Auftritt, kommt er doch im Gegensatz zu den hellen Tönen der sonstigen Kostüme und des Bühnenbilds (Leah Lichtwitz) ganz im italienischen Faschisten-Schwarz. Großartig gespielt ist die zentrale Szene der Hypnose, in der er Mario dazu bringt, in ihm, dem Verführer, die lang ersehnte Freundin zu sehen.
Insgesamt ist der gut einstündige Abend aber eher eckig als rund geraten. Die Übergänge zwischen den Szenen schleifen, vor allem fremdeln die Spieler immer mal wieder mit der gerade in dieser Novelle so bewusst distinguiert gehaltenen Sprache Manns; vieles wirkt da eher aufgesagt als authentisch berichtet. Die Botschaft sitzt aber in jedem Fall, der Gewinn für den Zuschauer ist klar, der Beifall darum herzlich.
(von Gabliele Metsker)
Thomas Manns „Mario und der Zauberer“ auf der Bühne
Foto Stephan Haase
Schon bevor Sebastian Schäfer in der Rolle als Familienvater Thomas Mann auf die Bühne kommt, spürt man, dass Unheil in der Luft liegt. Dabei sehen die nach hinten gestaffelten, naturfarbenen Vorhänge eigentlich ganz behaglich aus. Auch das Licht ist angenehm. Aber schon die ersten Sätze ziehen einen mitten hinein ins Geschehen: ins italienische Küstenstädtchen Torre de Venere, wo Thomas Mann mit Frau Katia und den Kindern den Sommerurlaub verbringt. Der Traum von „Bella Italia“ gerät jedoch nach und nach zum Alptraum. "Mario und der Zauberer“ heißt die Novelle von Thomas Mann, die Daniela Urban für die Bühne bearbeitet und im Studio Theater inszeniert hat. Der Geschichte liegen reale Erlebnisse zugrunde: Sie spielt in den 1920er Jahren, als in Italien der Faschismus heraufzieht. Italien, das ist hier nicht das unbeschwerte Land, in dem die Zitronen blühen. Es ist eine Nation, die Nicht-Italienern schnell feindselig gegenübersteht, was sich in Torre de Venere in verschiedenen Schikanen äußert, welche die Familie Mann erdulden muss. Der Aufenthalt gipfelt in einer ebenso faszinierenden wie schaurigen Zaubershow mit dramatischem Ausgang. Nur drei Darsteller (Sebastian Schäfer als Thomas Mann, Joachim Hall als Cavaliere Cipolla und Felix Jeiter als Mario und in weiteren Rollen) und eine Darstellerin (Galina Freund als Katia Mann und in weiteren Rollen) sorgen für das italienische Ambiente und die Vergegenwärtigung der verschiedenen Örtlichkeiten und Personen (Ausstattung Leah Lichtwitz). Das gelingt auf poetische Weise, indem die Vorhänge so verändert und drapiert werden, dass sie zur Hotellobby, zum Straßencafé, Strandplatz oder zur Theaterbühne werden. Eine wichtige Rolle spielen dabei behutsam eingespielte oder selbst produzierte Geräusche sowie die Kunst des Schattenspiels. Da genügen dann nur ein oder zwei ausgewählte Accessoires, um die unterschiedlichen Personen oder Orte zu charakterisieren. Dass an vielen Stellen – vor allem von Felix Jeiter – im Original- Tonfall Italienisch gesprochen wird, trägt ebenfalls zur dichten Atmosphäre bei.
Gibt es anfangs immer wieder charmante Erlebnisse, welche die Familie trotz aller Unannehmlichkeiten zum Bleiben verleiten, gipfelt, was sich anfangs nur als unbestimmtes Unbehagen bemerkbar macht, in der unheimlichen Vorstellung des Hypnotiseurs Cipolla. Mit Unverschämtheit und Menschenverachtung gewinnt er die Aufmerksamkeit des Publikums, das sich ihm zunehmend bereitwillig unterwirft. Sich seinem Willen widersetzen wollen? Darüber kann der gruselige Maestro nur lachen. Und während die Kinder in ihrer Unschuld nicht wirklich durchschauen, was vor sich geht, verstehen die Erwachsenen nicht, warum sie all dem bis zum bitteren Ende beiwohnen. gab